MIT DER BMW ISETTA IN DIE FREIHEIT. EIN WAGNIS AUF ENGSTEM RAUM.

1963 ist die Grenze zur DDR dicht, der Eiserne Vorhang hat sich unbarmherzig gesenkt. Berlin ist eine geteilte Stadt, in der sich West und Ost misstrauisch belauern. Wer aus dem Osten jetzt noch rüber will, riskiert schnell sein Leben. Fluchthelfer ersinnen immer neue Tricks, Tunnel werden gegraben, Flugzeuge organisiert und natürlich alle möglichen Autos umgebaut. Doch an die winzige BMW Isetta denkt dabei keiner. Denn wie soll man sich darin schon verstecken? Klaus-Günter Jacobi findet eine Möglichkeit. Und holt seinen Jugendfreund in die ersehnte Freiheit. Ein deutsch-deutsches Abenteuer, das Geschichte schreibt.

Klaus-Günter Jacobi lebt 1963 in West-Berlin, als ihn sein alter Jugendfreund Manfred Koster bekniet, ihm bei der Flucht aus der inzwischen hermetisch abgeriegelten DDR zu helfen. Die Zeit drängt, der Freund hat seinen Einberufungsbefehl erhalten und möchte nur noch raus, egal wie.

Aber um in diesen Jahren den Eisernen Vorhang zu überwinden, muss man sich schon etwas Außergewöhnliches einfallen lassen. An den Grenzzäunen gibt es den Schießbefehl, an den Übergängen wird akribisch kontrolliert. Gerade Autos werden genauestens durchsucht. Es muss eine Idee her, auf die bisher noch keiner gekommen ist. Klaus-Günter Jacobi fällt die Isetta ein, die seit einiger Zeit vor seiner Haustür parkt und deren stolzer Besitzer er ist – 2,30 Meter lang, 1,40 breit. Im Grunde absurd, aber ist diese fröhliche „Knutschkugel“ nicht genau darum so geeignet?

Eine BMW Isetta im BMW Museum

Die Vorbereitung.

Ein speziell angefertigter Blechkasten anstelle des Tanks, dazu eine hoch gesetzte Hutablage unter dem Heckfenster, ein angepasstes Auspuffrohr und Schaltgestänge, der Zustieg vom Innenraum durch eine Klappe. Klaus-Günter Jacobi weiß als gelernter Automechaniker sehr gut, wie es geht, und doch kostet es ihn viel Zeit. Zu allem Überfluss läuft der TÜV ab und ist mit all diesen Umbauten auch nicht mehr zu bekommen. Bei einer Testfahrt stoppt ihn prompt die Polizei, zum Glück ist es die Westdeutsche.

Ein Fahrer wird gesucht.

Als West-Berliner darf Klaus-Günter Jacobi nicht in die DDR, seine Isetta selbst fahren kann er also nicht. Die Stuttgarter Medizinstudentin, die sich dafür bereitfindet, dreht eine Proberunde und verliert die Nerven. Zu gruselig erscheint ihr die Grenze mit all den Wachsoldaten, Hunden und gleißenden Scheinwerfern. Alle Mühe also umsonst? Da klingelt das Telefon, ein „Werner“ meldet sich, hat davon gehört, zusammen mit einem Freund will er es wagen. Am 23. Mai 1963 machen sich die beiden auf den Weg, der Freund hinterher im VW Käfer.

Schild mit Warnhinweis: Sie verlassen jetzt West-Berlin

Die Isetta als Ticket in die Freiheit.

An einem ländlich einsamen Ort büßt die Isetta ihren Originaltank ein, fortan muss eine alte Öldose als Ersatz reichen. Den freigewordenen Platz nimmt nun Manfred Koster ein, der Freund Jacobis. Er kriecht durch die Öffnung hinter der Lehne in sein enges Versteck und die Fahrt zurück zur Grenze an der Bornholmer Brücke beginnt. Zu allem Überfluss beginnt es zu regnen. Die Grenzer lassen sich Zeit, kontrollieren penibel die Papiere, öffnen sogar die seitliche Motorklappe und leuchten mit Taschenlampen hinein. Dann geben sie den Weg frei. Bemerkt haben sie nichts. Der Plan geht auf. Die beiden Jugendfreunde fallen sich in die Arme, in dieser Nacht kriegt keiner mehr ein Auge zu.

2019 – 30 Jahre nach dem Mauerfall.

Klaus-Günter Jacobi ist heute 79, lebt wieder in Berlin. Der gut gelaunte Rentner ist ein begnadeter Erzähler, der im Mauermuseum am berühmten „Checkpoint Charlie“ Touristen aus aller Welt lebendigen Geschichtsunterricht gibt. Sein unerschöpflicher Fundus an Anekdoten lässt staunen, auch wenn manches, worüber wir heute lachen dürfen, mal bitterer Ernst war. Schließlich mussten viele, deren Pläne scheiterten, für Jahre ins Gefängnis. Und nicht zu vergessen die 327 Menschen, die ihre Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung sogar mit dem Leben bezahlten.

Die umgebaute Isetta wurde übrigens bald danach verschrottet, eine Rückrüstung wäre zu aufwendig gewesen. Alles, was von ihr blieb, sind ein kleiner Schlüssel und jede Menge Erinnerungen. Klaus-Günter Jacobi kaufte sich wieder eine Isetta, wurde Fahrlehrer, gründete eine Familie. Seine Idee aber sprach sich unter der Hand herum und fand Nachahmer. Achtmal noch schenkte eine winzige Isetta ein neues Leben im Westen, bis ein Motorschaden auf der Transitstrecke den Trick auffliegen ließ.

Jacobi neben einer BMW Isetta im BMW Museum

Große Sonderausstellung im BMW Museum.

Vieles mehr zur abenteuerlichen Flucht in der BMW Isetta zeigt die neue, große Sonderausstellung im BMW Museum, die noch bis 8. März 2020 läuft. Hier kann jeder, der sich traut, auch mal in einem Kasten Platz nehmen, der in der Größe etwa der Flucht-Isetta entspricht. Zeitgeschichte zum Ausprobieren und Nacherleben. Allerdings muss keiner mehr eine ganze Grenzkontrolle lang darin ausharren.

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